Regelmäßig werden Kälber tausende Kilometer quer durch Europa transportiert. Dabei können die 14 Tage alten Tiere unterwegs gar nicht ernährt werden. Auch die Fachwelt ist gegen solche Transporte, denn sie verstoßen sogar gegen europäische Vorschriften. Trotzdem werden sie von Amtstierärzten genehmigt – auch in Deutschland.
Ohne Kälber geben Kühe keine Milch. Die Rassen in der Milchproduktion sind jedoch so spezialisiert, dass sich die Mast der männlichen Kälber kaum lohnt. Sie setzen zu wenig Fleisch an. Die Bauern wollen die Jungtiere deshalb möglichst schnell loswerden.
Vor allem die baltischen Staaten sind noch für Langstreckentransporte bekannt. Doch auch Deutschland macht mit. Hauptabnehmer in Europa sind die Niederlande, Spanien und Italien. Dort sind die Betriebe auf Kälbermast spezialisiert; können das also besonders günstig.
Die EU-Verordnung (EG) Nr. 1/2005 schreibt vor, dass Kälber auf Langstreckentransporten maximal neun Stunden transportiert werden dürfen. Anschließend muss eine einstündige Versorgungspause gemacht werden, bevor der Transport für neun Stunden weitergehen kann. Danach müssen die Jungtiere für mindestens 24 Stunden abgeladen und versorgt werden. Die Kälber können in diesem Intervall theoretisch unendlich weitertransportiert werden.
Versorgungsmöglichkeiten auf Transporten existieren nicht
Mit zwei Wochen dürfen die Kälber transportiert werden, doch erst mit zwei Monaten sind die Mägen so ausgebildet, dass sie feste Nahrung aufnehmen können. Zur Ernährung brauchen die „nicht abgesetzten“ Tiere bis dahin warmen Milchaustauscher, der in kontrollierten Mengen mit Gummisaugern gegeben wird.
Das ist unterwegs aber unmöglich. In der einstündigen Versorgungspause nach neun Transportstunden, bleiben die Tiere im Anhänger, wo sie auf zwei bis drei Etagen stehen. Die einzige Versorgungsmöglichkeit ist das Tränkesystem, das eigentlich für die Wasserversorgung von Schweinen vorgesehen ist. Dieses kann aber unter anderem aus hygienischen Gründen nicht für Milch benutzt werden. Deshalb gibt es im besten Fall eine Elektrolytlösung. Die kommt aus starren Metallnippeln, die für Kälber ungeeignet sind. Eine Möglichkeit zum Erwärmen gibt es in der Regel auch nicht und einzeln kontrollieren lässt sich die aufgenommene Menge auf einem Rastplatz überhaupt nicht.
In der Realität ist das EU-Recht also nicht einzuhalten. Eine Versorgung auf dem Transporter ist technisch und logistisch nicht möglich. Nahrung bekommen die Kälber frühestens nach 19 Stunden, wenn sie an einer sogenannten Kontrollstelle für 24 Stunden abgeladen werden.
Kranke Tiere
Kälber erhalten ihren Immunschutz eigentlich über die Muttermilch. Die bekommt in der Milchwirtschaft aber kaum ein Kalb, denn sie wird für den Handel gebraucht. Stattdessen bekommen die Kälber günstigeren Milchaustauscher, der keinen Immunschutz bietet.
Kommen diese Kälber nun auf einen Transport, führt das zu Stress, der das Immunsystem weiter schwächt und Durchfälle zur Folge hat. Auf dem Transport sind häufig Tiere von verschiedenen Höfen mit verschiedenen Keimen. Ähnlich wie bei Kindergartenkindern gehen daher viele Krankheiten um – meist Durchfall. Die fehlende Versorgung unterwegs schwächt die Tiere weiter. Um den Flüssigkeitsverlust aufgrund der Durchfälle zu kompensieren, geben die Fahrer den Kälbern unterwegs manchmal Elektrolyte. Doch die ungeeigneten Tränkesysteme an Bord sorgen für eine sehr ungleichmäßige Verteilung. Die jüngsten und schwächsten Tiere sind meist nicht in der Lage daraus zu trinken. Stärkere Kälber trinken wiederum zu viel, was zu noch mehr Durchfällen führt. Werden die Kälber schließlich abgeladen, hilft ihnen nur noch intensiver Antibiotikaeinsatz. Wie viele Tiere die Transporte nicht überstehen, wird nirgends offiziell erfasst.
Vorhandene Navigationsdaten werden nicht abgerufen
Grundlage für die Genehmigung eines Langstreckentransports ist die schriftliche Transportplanung. Abweichungen davon zu melden, ist die Aufgabe des jeweiligen Fahrers. Das nimmt scheinbar nicht jeder so genau.
Regelmäßig beobachten Tierschutzorganisationen wie Animals‘ Angels e.V. sogenanntes Kälberhopping. Dabei werden die Tiere an verschiedenen Höfen eingesammelt, die Transportpapiere aber erst am letzten Hof ausgefüllt. Manche Kälber sind dann schon mehrere Stunden unterwegs, bevor die offiziellen neun Stunden Transportzeit beginnen. Auch die 24-Stündige Pause wird nicht immer eingehalten.
Dabei haben alle Langstreckentransporter bereits ein Navigationssystem eingebaut, mit dem sich der tatsächliche Transportverlauf genau prüfen lässt. Nur ruft diese Daten bisher europaweit keine Behörde ab. Kontrollen auf der Straße sind mangels Personal selten. Selbst wenn die Polizei mal einen Kälbertransport stoppt, kann und darf sie den Zustand der Tiere nicht beurteilen. Das ist Aufgabe eines Tierarztes, der dann selten verfügbar ist.
Experten sind sich einig
Das „Handbuch Tiertransporte“ wird im Auftrag des Bundes von Fachleuten herausgegeben. Es enthält Auslegungshinweise, die einen einheitlichen Vollzug der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 und der nationalen “Verordnung zum Schutz von Tieren beim Transport und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates (Tierschutztransportverordnung – TierSchTrV)” vom 11.2.2009 (BGBl. I S. 375) sicherstellen sollen. Im Hinblick auf lange Transporte von nicht abgesetzten Kälbern heißt es im Handbuch Tiertransporte:
“Sofern Kälber transportiert werden sollen, die nur an das Tränken aus Eimern mit Gummisaugern gewöhnt sind, müssen entsprechende Vorrichtungen zur Versorgung eingebaut sein oder mitgeführt werden. Für Kälber steht ein der Physiologie und den Verhaltensansprüchen genügendes “automatisches” Versorgungssystem, wie in der Verordnung gefordert, bisher weder für Elektrolyt- noch für Milchaustauschertränke noch für ihre Temperierung zur Verfügung. Eine reine Wassertränke wird den Ansprüchen von Kälbern auf langen Transporten nicht gerecht, auch droht hier die Gefahr der Wasserintoxikation. Im Grundsatz sind diese Zusammenhänge auch auf Schaf- und Ziegenlämmer zu übertragen. Lange Transporte dieser Tierkategorien sind deshalb zu versagen, so lange während der vorgeschriebenen Ruhepausen eine bedarfs- und verhaltensgerechte Versorgung mit temperierter Elektrolyt- oder Milchaustauscherlösung aus Vorrichtungen mit verformbaren Saugern nicht möglich ist.”
Der Präsident des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte, Ltd.VD Dr. Holger Vogel, äußerte sich folgendermaßen:
„Der Bundesverband der beamteten Tierärzte sieht Langstreckentransporte von Tieren grundsätzlich kritisch. Zu der speziellen Problematik Langstreckentransporte von Kälbern wurde anlässlich des Tagesseminars Tiertransporte am 13.10.2016 (von der Akademie für Tierärztliche Fortbildung anerkannte Fortbildungsveranstaltung des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte) ein Vortrag gehalten.
Insbesondere die Versorgungssituation auf den Transportfahrzeugen fand Berücksichtigung. Der Gesetzgeber hat auf ein generelles Transportverbot für nicht milchentwöhnte Kälber auf Langstrecken leider verzichtet. Damit wird auf die Prüfung jedes einzelnen Transportes abgestellt. Um die Entscheidungsfindung zur Abfertigung oder Nichtabfertigung von Kälbertransporten dem Kollegenkreis fachlich und rechtlich näher zu bringen, wurde das genannte Seminar durchgeführt. Die generelle Empfehlung, keine Langstreckentransporte von Kälbern mehr abzufertigen, kann der Bbt seinen Mitgliedern so nicht geben. Allerdings müssen offensichtliche Versorgungsdefizite zu einer Ablehnung des Transportes führen.
Um dem Schutz dieser Kälber insgesamt besser gerecht zu werden, ist ein generelles Transportverbot für Langstrecken anzustreben.
Auch unter dem Aspekt der Reduzierung von antibiotischen Behandlungen bei Tieren sollten erforderliche Transporte erst in einem höheren und damit immunkompetenteren Lebensalter stattfinden.“
Nur ein europaweites Verbot wäre sinnvoll
Nordrhein-Westfalen setzt sich seit Jahren für die Verkürzung von Tiertransportzeiten ein und fordert vom Bund Nachbesserung, zum Beispiel über die Agrarministerkonferenz.
In der EU haben sich Deutschland, die Niederlande und Dänemark in der Vergangenheit schon für eine Verkürzung der Transportzeiten eingesetzt. Die aktuelle Rechtsprechung bleibt jedoch ein Minimalkonsens zwischen den EU-Ländern.
Langstreckentransporte werden immer noch von Amtstierärzten in Deutschland und auch in NRW gestattet. Auf welcher Grundlage solch ein Langstreckentransport überhaupt freigegen werden kann, konnte oder wollte uns bei unserer Recherche niemand beantworten.
Zumindest gibt es in Deutschland nun Pläne die Transporte von Kälbern unter acht Wochen auf neun Stunden zu begrenzen. Danach sollen sie für 24 Stunden abgeladen und versorgt werden.
Tierschutzorganisationen fordern seit Jahren aber ein europaweites Verbot von Langstreckentransporten. Selbst wenn Deutschland diese Transporte verbietet, wird das für den internationalen Transitverkehr wohl nicht viel ändern.
Informationen der Tierschutzorganisation Animals‘ Angels über Tiertransporte: www.animals-angels.de
Informationen des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen: https://www.umwelt.nrw.de/laendliche-raeume-landwirtschaft-tierhaltung/tierhaltung-und-tierschutz/nutztierhaltung/tierschutz-in-der-landwirtschaftlichen-nutztierhaltung/