Die überzähligen Milchkälber

Jedes Jahr werden auf Milchhöfen in NRW über 360.000 Kälber geboren. Gleich nach der Geburt werden sie von ihrer Mutter getrennt. Warum ist das so?

Ohne Kalb keine Milch! Da eine Kuh nur Milch produziert wenn sie Nachwuchs hat, wird sie alle 400 Tage befruchtet. Moderne Milchrassen, wie die verbreitete Holstein-Friesian sind nur auf Milchleistung gezüchtet. Sie geben zwar bis zu 50 Liter Milch am Tag, setzen jedoch viel weniger Fleisch an und sind zur Mast – also zur Fleischproduktion eigentlich ungeeignet. Deshalb wird zwischen Milch- und Fleischrassen  strikt unterschieden. Nur der weibliche Nachwuchs kann auch wieder zur Milchproduktion  eingesetzt werden – aber welches Leben erwartet all die männlichen Kälber?

Der Umgang mit den Bullenkälbern steht in der Kritik. Kühe werden häufig so befruchtet, dass sie Anfang des Jahres Kalben und dann im Frühjahr auf die Weide oder mit frischem Heu gefüttert werden können.

So kommt es im Winter regelmäßig zu einer hohen Kälberproduktion. Die geringe Nachfrage in dieser Zeit sorgt zusätzlich für einen starken Preisverfall im Winter. Schwache Kälber werden dann schon mal für nur 15 Euro verkauft. In manchen Ländern werden die Tiere gleich nach der Geburt getötet, in Deutschland ist das verboten. Aufgrund des geringen Wertes wird den Milchbauern von Tierschützern unterstellt sich schlecht um die Tiere zu kümmern.

Sind das also nur Wegwerfkälber!?? Das Leben von männlichen und weibliche Kälber beginnt gleich. Sie werden mit Ohrmarken nummeriert und die ersten zwei Wochen in Einzelboxen gehalten. Viele Studien belegen die innige Beziehung zwischen Kühen und ihren Kälbern. Die möglichst schnelle Trennung von der Mutter, soll den Aufbau einer Beziehung zum Kalb unterbinden. Die Einzelhaltung stellt zudem sicher, dass jedes Kalb die vorgesehene Menge an Milch bekommt. Gefüttert werden die Kälber die ersten fünf Tage mit der „Biestmilch“ genannten Muttermilch. Anschließend bekommen sie Vollmilch.

Im Sommer pendeln sich die Preise für Bullenkälber bei etwa 100 Euro ein. Ob Bullenkälber vom Milchbauern grundsätzlich schlechter behandelt werden, ist nicht pauschal zu beantworten. Letztlich hängt das von den Tierethischen Vorstellungen des einzelnen Landwirts ab.

Viehhandel – Ein internationales Geschäft. Mit 14 Tagen können die Bullenkälber dann verkauft werden. Kaum ein Milchbauer zieht überschüssige Tiere noch selber auf. Kälbermast ist was für Spezialisten.

Kälber werden von Viehhändlern oft international auf Märkten gehandelt. Die transporte gehen zum Teil tausende Kilometer weit quer über den Kontinent. In Europa sind die Niederlande und Spanien die Hauptabnehmer, denn dort sitzen die Großunternehmen, die am günstigsten mästen können. Die langen Transporte verstoßen immer wieder gegen europäische Tierschutzgesetze. Doch selbst bei Einhaltung, sind sie für die Jungtiere eine große Strapaze.

Resteverwertung der Käseproduktion. Die Kälbermast ist in den fünfziger Jahren in den Niederlanden entstanden. Die hohe Käseproduktion brachte als Nebenprodukt die Molke mit sich. Da man weder für die Molke, noch für die Bullenkälber einen Vermarktungsweg hatte, hat man die Kälber einfach mit den überschüssigen Milchprodukten gemästet. Das Fleisch wurde dann als Kalbfleisch vermarktet.

In Deutschland  werden aufgrund der Gesundheitsvorschriften fast nur noch deutsche Kälber gemästet. Beim Mäster angekommen, müssen die Jungtiere die ersten zwei Wochen einzeln auf Spaltenböden verbringen. So soll die Futtermenge kontrolliert werden, aber auch Durchfallerkrankungen sind in diesem Alter ein Problem, das erkannt werden muss. Gefüttert wird ab jetzt mit Ersatzmilch, einer Mischung aus Magermilch, Molke, pflanzlichen Eiweißen und Vitaminen.

Die Fütterung befriedigt das Saugbedürfnis der Kälber kaum. Normalerweise saugt ein Kalb sechs bis acht mal pro Tag für zirka zehn Minuten an der Mutter. Es kann zu Verhaltensstörungen wie dem gegenseitigen Urin absaugen kommen – auch das soll die Einzelhaltung eindämmen. Manche Mäster geben den Kälbern dagegen noch Saugnuckel, andere die Martialisch anmutenden Saugentwöhner.

Ohne Antibiotika geht es nicht Da in der Mast Tiere von vielen verschiedenen Höfen zusammenkommen, gehen  Krankheiten um – ähnlich wie im Kindergarten. Deshalb ist der Tierarzt wöchentlich da. Er kontrolliert und impft. Doch gerade in den Wintermonaten kommen die Mäster nicht ohne Antibiotika aus.

Früher war die Aufzucht nur mit Ersatzmilch üblich. So entstand das sehr milde und helle „weiße“ Kalbfleisch. Das war für die Tiere aber nicht besonders gesund, denn durch Eisenmangel und Störungen der Pansenentwicklung wurden die Kälber krankheitsanfälliger. Deswegen und in Folge gestiegener Milchpreise, wird  heutzutage auch Raufutter beigefüttert – also Gerstenstroh und -körner, Mais und etwas Rapsöl. Dieses Fleisch wird etwas rosiger. Würde man die Kälber aber auf die Weide lassen, wäre ihr Fleisch sehr schnell rot und kräftiger im Geschmack – so wie Rindfleisch. Das ist aber nicht gewünscht.

Bessere Haltungsbedingungen nur Europaweit sinnvoll. Die Kälber werden bis zu einem Alter von sechs bis sieben Monaten im Stall gemästet. Pro Kalb sind 1,8 Quadratmeter Platz vorgeschrieben. In Gruppen von acht Tieren stehen sie auf Spaltenböden. In modernen Betrieben sind die Böden aus Gummi. Alte Ställe sind dunkler und die Tiere stehen auf härteren Böden. Das kann zu Gelenkerkrankungen führen. Enthornt werden die Kälber nicht. In der kurzen Mastzeit werden die Hörner nicht so groß, dass sie gefährlich wären.

Verbesserungen der Haltungsbedingungen würden nur bei europaweiter Einführung zum gewünschten Ziel führen. Die Mästung würde sonst noch weiter in andere Länder abwandern. Schon jetzt hat Deutschland nur noch einen Selbstversorgungsgrad mit Kalbsfleisch von fünfzig Prozent. In den Niederlanden liegt dieser dagegen bei etwa 700 Prozent. Das ist unter anderem darauf zurück zu führen, dass strengere Richtlinien in Deutschland schneller eingeführt wurden als in den Niederlanden.

Eine Kostenfrage. Die Margen in der Landwirtschaft sind knapp kalkuliert, denn der deutsche Verbraucher gilt als äußerst Preisorientiert. Nur wer effizient produziert, kann Gewinne erwirtschaften. Das schaffen nur größere, spezialisierte Betriebe.

Um den Wert der Bullenkälber zu erhöhen, kreuzen Milchbauern heutzutage bei absehbarem Überschuss Fleischrassen ein. Deren Mast ist rentabler – sie gehen meist in die längere Bullenmast. Zudem wird „gesextes“ Sperma eingesetzt. Das erhöht die Chance auf weiblichen Nachwuchs auf etwa 90 Prozent. Doch dieses behandelte Sperma ist deutlich teurer und viel weniger fruchtbar. So wird es meist nur bei jungen, sehr fruchtbaren Kühen eingesetzt. Von den besten Zuchtbullen ist gesextes Sperma zudem kaum verfügbar, weil der Verlust bei der Herstellung groß ist. Doch selbst wenn mehrheitlich weibliche Kälber geboren würden, entstünde auch ein Überschuss. Die Kuhkälber gingen in diesem Fall ebenfalls in die Mast und sind dafür noch viel weniger geeignet. Die Milchproduktion ist scheinbar unweigerlich mit der Fleischproduktion verbunden.

Endstation Schnitzel. Nach sechs bis sieben Monaten Mast geht es zum Schlachthof. Im Internationalen Markt kann der erneut über 1000 Kilometer entfernt sein. Innerhalb Deutschlands produziertes Kalbfleisch hat in der Regel kürzere Strecken hinter sich. Ein klassisches Kalbfleischprodukt ist das Wiener Schnitzel.

Medium

WDR Fernsehen

Sendeplatz

Tiere suchen ein Zuhause

Credits

Regie: Vahid Zamani
Kamera: Dirk Schweizer
Ton: Patrick Salomon
Schnitt: Vahid Zamani
Redaktion: Gina Göss